Roland Wan­delt: Die Che­mie muss stimmen

Wir sind der DBV

Manch­mal ist ›Box­stall‹ mehr als ein geflü­gel­tes Wort. In dem alt­ehr­wür­di­gen Gebäu­de, das sich im Hal­len­ser Orts­teil Kröll­witz in die Land­schaft duckt, ste­cken hier und da noch Eisen­ha­ken in den Wän­den. Dar­an mach­te man frü­her Pfer­de fest, die für den Moder­nen Fünf­kampf trai­niert wur­den. Inzwi­schen wer­den zwi­schen sei­nen ver­putz­ten Wän­den Boxer und Boxe­rin­nen aller Alters­grup­pen zum Schnau­fen gebracht. Das kön­nen Junio­ren des SV Hal­le sein oder aus­ge­wach­se­ne Hoff­nungs­trä­ger des Box-Ver­bands Sach­sen-Anhalt (BVSA), der hier ein Leis­tungs­zen­trum unter­hält. Und wer die Geschich­ten zu den Gesich­tern erfah­ren will, die am Nach­mit­tag ins Schwit­zen gera­ten, kann sich an Roland Wan­delt wen­den. Der hat nach wie vor den Überblick.

Und die letz­te Ver­ant­wor­tung, weil alles irgend­wo zusam­men­lau­fen muss – gera­de in Zei­ten, in denen auch in einer eins­ti­gen Hoch­burg des olym­pi­schen Boxens nicht alles von allein läuft. »Wenn der Stand­ort wie­der ein wich­ti­ger Part­ner des DBV wer­den will, müs­sen wir uns wei­ter sta­bi­li­sie­ren«, sagt Wan­delt ziem­lich bald in sei­ner tro­cke­nen, klar struk­tu­rier­ten Art. »Dazu gehört nicht nur ein fes­tes Trai­ner-Team, son­dern auch die enge Zusam­men­ar­beit aller Ver­ei­ne im Lan­des­ver­band.« Das ist ein Kon­glo­me­rat aus 38 Clubs und Abtei­lun­gen, vom 1. BC Alt­mark Stend­al über die Box­schmie­de Mag­de­burg bis zum ABC Frey­burg, die es alle­samt gut mei­nen – aber gele­gent­lich eher den eige­nen Markt­fle­cken als das grö­ße­re Gan­ze sehen. 

Doch Wan­delt, Jahr­gang 1959, weiß damit umzu­ge­hen. Er kennt in die­sen Brei­ten so gut wie alle, die etwas im olym­pi­schen Boxen bewe­gen, und die ken­nen ihn. Schließ­lich hat er mehr als vier Jahr­zehn­te lang in ver­schie­de­nen Funk­tio­nen über­zeugt: Als flin­ker, schlag­star­ker Halb­mit­tel­ge­wicht­ler, der nach ent­spre­chen­den Erfol­gen ›Kuba-Schreck‹ genannt wur­de, eben­so wie spä­ter als haupt­amt­li­cher Trai­ner und Abtei­lungs­lei­ter beim MSV Buna Schko­pau in Mer­se­burg, dem er bis heu­te vor­steht. Nicht zu ver­ges­sen das Man­dat des Prä­si­den­ten im Lan­des­ver­band, der in sei­nem Büro über den ehe­ma­li­gen Stäl­len täg­lich mit Papier­ber­gen kämpft, Wett­be­wer­be koor­di­niert und sich um die Fort­bil­dung von Trai­nern und Kampf­rich­tern kümmert. 

»Es macht mir ein­fach sehr viel Spaß, die Begeis­te­rung fürs Boxen wei­ter­zu­ge­ben«, sagt Wan­delt. »Das hat ja immer mit Men­schen zu tun. Außer­dem sind wir hier bis heu­te boden­stän­dig und für alle ansprech­bar geblie­ben. Das habe ich auch stets vor­ge­lebt. Da gibt´s kein ›Ich bin aber das und du nur das‹.«

Stand­ort Hal­le: Hier blüh­ten ein Ver­ein und ein inter­na­tio­na­les Tur­nier auf

Was für eine Tra­di­ti­on aber auch, auf die der gelern­te Kfz-Schlos­ser und sei­ne Vor­stands­kol­le­gen ver­wei­sen kön­nen. Hier an der Saa­le gewann die Staf­fel des SC Che­mie Hal­le, so der dama­li­ge Name, unter Lei­tung von Trai­ner­le­gen­den wie Paul Nickel, Gün­ter Feh­se und Hans-Jür­gen Wit­te man­che Ober­li­ga-Meis­ter­schaft der DDR; von ihnen ent­wi­ckel­te Boxer wie Otto­mar Sach­se oder Sieg­fried Meh­nert hol­ten WM- und EM-Medail­len. Dazu wur­de mit dem Che­mie-Pokal ab 1970 ein inter­na­tio­na­les Tur­nier initi­iert, das bald glo­ba­le Aus­strah­lung gewann. Nicht nur die Mas­ke und May, auch spä­te­re Olym­pia­sie­ger bzw. Welt­meis­ter aus Kuba oder Ost­eu­ro­pa deu­te­ten in der (längst abge­ris­se­nen) Eis­sport­hal­le ihr immenses Poten­zi­al an.

Dass dies Schnee von ges­tern ist, weiß Wan­delt selbst am bes­ten. Er hat mit­er­lebt, wie das Tur­nier immer schwie­ri­ger zu stem­men wur­de, als die finan­zi­el­len Mit­tel nach der Wen­de nicht mehr vom DDR-Staat, son­dern aus ande­ren Quel­len kom­men muss­ten. Den­noch bleibt er wei­ter ent­schlos­sen, es in beschei­de­ne­ren Dimen­sio­nen fort­zu­füh­ren. So wie neu­lich wie­der, als in den stim­mungs­vol­len Kulis­sen des his­to­ri­schen Stein­tor-Varie­tés an zwei aus­ver­kauf­ten Kampf­ta­gen »die Erben von Vita­li Klit­sch­ko, Hen­ry Mas­ke, Teofi­lo Ste­ven­son, Dari­usz Mich­al­c­zew­ski und Sven Ott­ke« ermit­telt wur­den, wie es zur 49. Auf­la­ge hieß – mit Youngs­tern aus Sach­sen-Anhalt und Kuba sowie einem musi­ka­li­schen Rahmenprogramm. 

»Es macht ein­fach sehr viel Spaß, die Begeis­te­rung fürs Boxen wei­ter­zu­ge­ben. Das hat ja immer mit Men­schen zu tun. Außer­dem sind wir hier bis heu­te boden­stän­dig und für alle ansprech­bar geblieben.«

Das knüpft an die frü­hen Jah­re an, wo der Nach­wuchs eben­falls im Mit­tel­punkt stand, und was könn­te in die­sen nicht ganz ein­fa­chen Zei­ten wich­ti­ger sein? »Wir haben uns das Ziel gesetzt, ein Tur­nier für die Regi­on und ihre Sport­ler zu gestal­ten«, erklärt Wan­delt. »Das dau­ert sei­ne Zeit, ent­spricht aber auch dem Grund­ge­dan­ken des Che­mie­po­kals schlecht­hin.« Sowie dem des För­der­ver­eins »Freun­de des Box­sports«, den er 2006 in Hal­le mit­be­grün­det hat – im glei­chen Jahr, in dem er auch das Box­team Hal­le Mer­se­burg for­mier­te, das sich sechs Jah­re lang in der 2. Bun­des­li­ga bzw. in der Ober­li­ga behauptete.

Code­na­me ›Kuba-Schreck‹: Hier bleibt einer bis heu­te in Schlagdistanz

Da möch­te einer wei­ter den Sport prä­gen, der ihn selbst geprägt hat. Der tap­fe­re Jun­ge aus Aschers­le­ben, der 1973 an die Kin­der- und Jugend­sport­schu­le Hal­le kam, hat »ein biss­chen gebraucht, um in der Eli­te Fuß zu fas­sen«. Sie­ben Jah­re spä­ter über­rascht er umso mehr, als er den Che­mie-Pokal als Ersatz­mann gewinnt. Damit hät­te er sich fürs olym­pi­sche Tur­nier in Mos­kau in Stel­lung gebracht, wenn an einem Tur­nier in Ungarn nicht die Schlag­hand gebro­chen wäre. Weil sol­che Ver­let­zun­gen häu­fi­ger wer­den, schließt er mit die­ser Kar­rie­re ab, um zwei neue zu star­ten. Die eine als Trai­ner im nahen Mer­se­burg, der von den Che­mi­schen Wer­ken Buna ange­stellt wird; die ande­re als Päd­ago­gik-Stu­dent für den Unter­richt in Mathe­ma­tik, Deutsch und Sport an Grundschulen.

Die ambi­tio­nier­ten Plä­ne sind mit der Wen­de jedoch dahin: Die Eig­nung zum Lehr­amt wird in der gesamt­deut­schen Repu­blik nicht aner­kannt, die Trai­ner­stel­le in Mer­se­burg bald gestri­chen. In die­ser kri­ti­schen Lage erfin­det sich Roland Wan­delt kom­plett neu – und lässt sich zum Gebiets­ver­kaufs­lei­ter einer Bre­mer Groß­braue­rei für Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen ein­ar­bei­ten. »Frü­her waren wir die Bot­schaf­ter im Trai­nings­an­zug«, räso­niert er amü­siert, »und jetzt warst du als Bot­schaf­ter für eine Bier­mar­ke unter­wegs und hast wie­der gelä­chelt. Ich hab´ mir fünf Jah­re gege­ben. Am Ende sind es fünf­und­zwan­zig gewor­den. Dass ich mal geboxt hab, wuss­te da keiner.«

Unterm Strich war es ja »eine tol­le Zeit«, in der er nicht zuletzt gelernt hat, »an Schwie­rig­kei­ten zu wach­sen und auf Men­schen zuzu­ge­hen«. Zwei Qua­li­tä­ten, die er im Lan­des­leis­tungs­zen­trum am Kreuz­vor­werk bes­tens gebrau­chen kann – im Aus­tausch mit ande­ren Ent­schei­dern wie mit einer neu­en Gene­ra­ti­on von Talen­ten aller nur denk­ba­ren Her­künf­te. Denn am Ende des Tages muss die Che­mie stim­men; das weiß man hier, im ›mit­tel­deut­schen Che­mie­drei­eck‹, seit eh und je.


Roland Wan­delt